Hier findet ihr die Online Version der lokalen Blockupy Aktionskarte:
Aktionskarte Vorderseite
Aktionskarte Rückseite
Ergänzend zu den Krisenakteuren findet ihr hier weitere Informationen zu lokalen Krisenfeldern:
Krisen – Felder
Hier sollen einige Felder beschrieben werden, an denen die Krise des Kapitalismus sichtbar wird und an denen Kämpfe gegen die vorherrschenden Strukturen und dominanten AkteurInnen stattfinden. Die so genannte Krise stellt für uns dabei den Anknüpfungspunkt für antikapitalistische Intervention dar. Die hier beschriebenen Felder stehen für uns im Zusammenhang einer kapitalistischen Logik, aus der heraus sie nicht zu trennen sind. Die beschriebenen Kämpfe und damit verbundenen Widersprüche gilt es aufzuzeigen, in den Zusammenhang von Kapitalismus, Hierarchisierung und Macht zu stellen und die Widerstände zu einer antikapitalistischen Praxis zu intensivieren.
Wohnen
Auf dem Göttinger Wohnungsmarkt sieht es schlecht aus: zu hohe Mieten und zu wenig bezahlbarer Wohnraum. Der Wohnungsbau orientiert sich nicht an den Interessen und Bedürfnissen der MieterInnen, sondern ist auf ökonomischen Profit und Verwertbarkeit ausgerichtet. Viele Menschen kommen nach Göttingen und haben zunächst keine Wohnung, bis sie entweder etwas Teureres nehmen, von der Stadt Göttingen vermittelt werden oder mit Glück doch etwas Geeignetes finden. Zeitgleich zu dieser Wohnungsnot stehen in der Innenstadt verschiedene Häuser leer, weil sich die Investitionen anscheinend nicht lohnen.
Für Göttingen existiert kein offizieller Mietspiegel. Dennoch kursieren inoffizielle, von Immobilienfirmen und -homepages erhobene Mietspiegel, die für Göttingen derzeit bei ca. 8,77 €/m^2 (2011 ca. 7,40€/m^2) liegt (Wohnungsboerse.net, 2/14). Zum Vergleich: Niedersachsen ca. 6€/m^2, bundesweit ca. 6,7€/m^2, Hamburg ca. 11,13€/m^2, Hannover ca.7,01€/m^2.
So wurde im letzen Jahr als Intervention und Kritik an der Wohnungssituation in Göttingen u.a. zweimal die Geiststraße besetzt. Zu Semesterstart wurde außerdem das Asta-Gebäude zur Notunterkunft für Studierende ohne Wohnung umfunktioniert.
Wirtschaft und Armut
Netto – Kämpfe
Seit 2011 wird Netto für Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen kritisiert. Im Betrieb herrscht hoher Leistungsdruck: Beschäftigungskosten werden durch weniger Personal im laufenden Tagesgeschäft eingespart, das die gleiche Arbeit schnell und effizient zu erledigen hat. Sparen hat hier Priorität: Minijobs, unbezahlte Überstunden, niedrigste Stundenlöhne, hohe Verantwortungen für die schlechter bezahlten Auszubildende und kettenweise Verlängerung der prekären Verträge. Die ehemaligen Plus-Angestellten werden wegen besserer Verträge gedrängt Stunden zu reduzieren oder zu kündigen und gewerkschaftliche Arbeit wird behindert.
Dagegen regt sich Widerstand von Angestellten und ver.di: Vertrauensleute wurden gewählt, Streiks fanden statt, Forderungen gestellt und ein Blog berichtet über die Situation. Mehr unter: www.neulich-bei-netto.de
Universität
Die Umstrukturierungen, die mit dem Bolognaprozess einher gehen, stehen im Licht des Neoliberalismus. So wurde nicht nur die europäischen Ziele umgesetzt, sondern dazu gleich ökonomische Prinzipien und Umgestaltungen vorgenommen: So soll die Leistung der Einzelnen möglichst individuell messbar und vergleichbar sein, wozu mehr und mehr Standardisierungen, wie z.B. das Sammeln von Credits, eingeführt wurden. Damit einher geht ein hoher Leistungsdruck, hohe Konkurrenz, Entsolidarisierung zwischen den Studierenden und Forschenden und der Zwang zum schnellen Studieren, um schnell auf dem Arbeitsmarkt verwertet werden zu können. Auch die Konkurrenz unter den Universitäten soll gesteigert werden, wobei durch die Exzellenzinitiative den – nach irgendwelchen vermeintlich objektiven Kriterien – besten Unis besondere finanzielle Mittel zustehen.
Hinzu kommt, dass wissenschaftliche MitarbeiterInnen durch Landes- und Bundesgesetzen besonders prekäre Arbeitsplätze haben: unbezahlte Überstunden, kurze Vertragslaufzeiten und damit einhergehende ständig wechselnde Wohnorte gehören zu einer Unikarriere dazu, bei der nur Wenige tatsächlich Aufstiegsmöglichkeiten haben.
In Göttingen kommt hinzu, dass die Universität eine Stiftungsuni ist und viele Gelder von FördererInnen erhält. Diese oft wirtschaftlichen Unternehmen haben als Gegenzug einen besonderen Einfluss auf die Universität.
Schule
Die rot-grüne Landesregierung fährt einen neuen Sparkurs im Bildungsbereich. Lehrkräfte müssen in Zukunft für das gleiche Geld bei Vollbeschäftigung statt 23,5 Stunden 24,5 Wochenstunden unterrichten. Hinzu kommen Einsparungen der Altersermäßigung. Göttinger Lehrkräfte kündigten an dafür in Zukunft auf Klassenfahrten zu verzichten.
Einsparungen und neoliberaler Umbau im Bildungsbereich finden allerdings schon seit langer Zeit statt: Bücher müssen selber bezahlt werden, Abitur nach 12 Jahren, Ausrichtung der Schulbildung auf Hervorbringungen von für den Arbeitsmarkt verwertbaren Humankapitals durch z.B. Ausrichtung des Unterrichtsstoffs auf für den Arbeitsbereich relevantes, Berufsorientierungspraktika, bilingualen Unterricht als Kompetenz für die Lebenslaufoptimierung, Buisness English Angebote, unterschiedliche Wertigkeit der Schulfächer. Hinzu kommt der Schrei nach Vergleichbarkeiten mittels PISA oder Zentralabitur.
Demgegenüber wird immer wieder von SchülerInnen, Lehrkräften oder Bildungsinitiativen gefordert Bildung an den Interessen der Lehrnenden auszurichten, Unterrichtsstoff zu entzerren und Raum für Flexibilität und selbstbestimmtes Lernen zu lassen.
Jugendarbeitslosigkeit
Die Ausbildungssituation in Göttingen ist prekär. In Zahlen aus gedrückt bedeutet dies, dass es in Göttingen im Berufsberatungsjahr 2012/2013 30% mehr BewerberInnen als freie Ausbildungsplätze gab. Es blieben 7% der Ausbildungsplätze unbesetzt und ebenfalls 7% der jungen Menschen hatten weder einen Arbeitsplatz, noch eine Alternative.
Zukunftsvertrag
Die Stadt Göttingen ist verschuldet und hat als Ausweg den Zukunftsvertrag als Pakt mit dem Land Niedersachsen beschlossen. Die Stadt Göttingen verpflichtet sich demnach dazu in den nächsten 10 Jahren keine neuen Schulden zu machen, damit das Land dann einen Teil der Schulden übernimmt. Das bedeutet, dass nun harte Einsparungen im kulturellen und sozialen Bereich folgen werden. U.a. ist angedacht bei KAZ und Musa einzusparen und das Deutsche Theater und das Junge Theater sollen zusammen gelegt werden. Auch beim Göttinger Frauennotruf werden in Zukunft Gelder fehlen.
Der Zukunftsvertrag sollte in Göttingen unter vermeintlicher BürgerInnenbeteiligung durchgesetzt werden. Diese Beteiligung diente jedoch nur der Bekämpfung von Kritik und Protest, wirkliche Mitbestimmung war hingegen nicht gegeben: So stand nicht zur Debatte, ob dieser Vertrag überhaupt zustande kommen soll, sondern es konnte nur diskutiert werden, wie der Vertrag sein sollte und was es für Ideen zum Sparen gibt.
Migration und Rassismus
Armutseinwanderungs- und Fachkräftemangeldebatte
Anfang des Jahres tobte durch die Medien eine rassistische Debatte voller antiziganistischer Stereotype. Die CSU hetzte gegen so genannte Armutseinwanderung aus Osteuropa vor der „wir“ uns schützen müssten. Immer wieder wurden Verschärfungen von Migrationsgesetzen und Kontrollen gefordert, die der Logik der Unterscheidung von den guten und schlechten MigrantInnen folgen. Gut seien dabei die, die der deutschen Wirtschaft nicht schaden und nicht auf „unsere“ Kosten leben. Ganz davon abgesehen, dass diese Debatte auf keinerlei Fakten basierte, beschloss die Große Koalition von CDU/ CDU und SPD Maßnahmen, um diese illusionierte „Armutszunwanderung“ einzudämmen.
Protestcamp von Geflüchteten Jakobikirchhof
Vom 4.4. bis zum 18.4. gab es in der Göttinger Innenstadt einen sichtbaren Protest von Geflüchteten. Jeden Tag machten sie mit einem Camp auf sich und ihre Situation aufmerksam. Sie berichteten von ihren Lebenssituationen, organisierten gemeinsam mit UnterstützerInnen Demonstrationen und Kundgebungen und kämpfen für ein Bleiberecht und gleiche Rechte für alle.
Die EU versucht mittels Grenzkontrolle, technischer und personeller Aufrüstung und immer wieder neuen Gesetzen und Verfahren MigrantInnen am Erreichen von Europa zu hindern. 2005 wurde die Grenzschutzagentur Frontex ins Leben gerufen. Frontex forscht, koordiniert Einsätze und ist besonders dafür bekannt Boote im Mittelmeer abzudrängen und Menschen ertrinken zu lassen. Die Dublin Verfahren gemeinsam mit der Änderung des Deutschen Grundgesetz 1992 sorgen dafür, dass das Recht auf Asyl de facto außer Kraft gesetzt ist, weil Asylanträge nur noch im Erstaufnahmeland gestellt werden können. Hinzu kommt, dass nur wenige Fluchtgründe ausreichen, um Asyl zu bekommen. So gelten z.B. Afghanistan und der Iran als sichere Länder, in die Menschen abgeschoben werden.
Im Konkreten heißt das, dass auch in Göttingen viele Geflüchtete seit vielen Jahren leben, sich hier ein Leben aufgebaut haben und tagtäglich davon bedroht sind, ihre Heimat verlassen zu müssen. Viele von ihnen erhalten seit über 20 Jahren nur Duldungen, die sie alle drei Monate verlängern müssen.
Dagegen formiert sich an vielen Orten Widerstand: Auf dem Oranienplatz in Berlin, Märsche von Geflüchteten, organisierte Stürme auf Ceuta und Melia, Lampedusa in HH und im April gab es auch in Göttingen ein Protestcamp, das am 16.5. erneut aufgebaut wird.
Abschiebungen
Trotz der Versprechen, dass sich an der Migrations- und Flüchtlingspolitik in Niedersachsen einiges ändern solle, wird auch unter Rot-Grün weiter abgeschoben. In Göttingen rechtfertigt der Grüne Ordnungsdezernent Siegfried Lieske Abschiebungen, z.B. in dem er sich nach der verhinderten Abschiebung eines Somaliers positiv auf die Dublin Verordnungen bezieht. Lieske behauptet, eine Abschiebung in einen sicheren Drittstaat sei unproblematisch. Eine Abschiebung ist allerdings niemals unproblematisch, da Menschen gezwungen werden ihren Wohnort zu verlassen. Die dahinter stehenden Politiken und Gesetze sind rassistisch, da sie Grenzen ziehen und aufrechterhalten zwischen Menschen, die zur konstruierten völkischen/nationalen Einheit dazu gehören, und jenen, die als Andere erklärt, ausgegrenzt und draußen gehalten werden sollen.
Darüber hinaus haben die Dublin Verordnung(en) und die damit einhergehende Änderung des Grundgesetztes 1992, auf die sich Lieske hier bezieht, zur faktischen Abschaffung des Asylrechts in Deutschland geführt. Niemand, der über einen EU Staat oder einen anderen als sicher erklärten dritten Staat nach Deutschland einreist, hat mehr das Recht in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.